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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Sandel über die meritokratische Ethik

Für Sandel besteht das wahre Problem nicht darin, dass wir eine gerechte Leistungsgesellschaft noch nicht erreicht haben, sondern darin, dass dieses meritokratische Ideal an sich falsch ist. Für ihn ist das Gerede vom Aufstieg aus eigener Kraft nicht länger inspirierend, sondern stellt ein ausgehöhltes politisches Projekt dar, dass eine verkümmerte Vorstellung von Bürgerschaft und Freiheit widerspiegelt. Dafür gibt es zwei Argumentationslinien, die Sandel vorstellt, nämlich: 1. Selbst eine vollständig verwirklichte Leistungsgesellschaft in der Jobs und Bezahlung vollkommen mit Leistungen und Talenten übereinstimmen, ist nicht zwingend eine gerechte Gesellschaft. Und 2. wäre selbst eine faire Meritokratie keine gute Gesellschaft. Hier ist zu bedenken, dass sich das meritokratische Ideal auf Mobilität (Auf- und Absteigen gemäß Talent und Leistung), nicht aber auf die Gleichheit bezieht. Es sagt zum Beispiel nicht aus, dass eine große Kluft zwischen arm und reich schlecht ist. Es ist kein Mittel, sondern eine Rechtfertigung von Ungleichheit. Ist aber die Ungleichheit, die sich aus meritokratischem Wettbewerb ergibt wirklich gerechtfertigt? Ist es tatsächlich so, dass das ich über die und die Fähigkeiten verfüge eine Folge meines Handelns ist oder hat es nicht auch viel mit glücklichen Umständen und Zufall zu tun? Auch wird unser Marktwert durch Faktoren bestimmt, die wir nicht kontrollieren und uns darum nicht als Verdienst anheften können. Schließlich ist der Marktwert der Person nicht unbedingt deckungsgleich mit dem Wert des Beitrages, den jemand für die Gesellschaft leistet (z.B. Casinobetreiber – Altenpfleger). Die Vorstellung von Begabung als eine Art angeborener Exzellenz ist für Sandel ein Konzept der Überheblichkeit.

Jürgen Czogalla, 12.12.2020