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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Ina Schmidt, Empfehlenswerte Tugenden für Senioren

Für die Autorin verändert sich im Alter unser Verhältnis zu Dingen, die in unserem Leben wesentlich sein sollen, auf zweierlei Weisen:

1. Unsere Erfahrungen und Erlebnisse wachsen und formen zunehmend unseren Blick auf die Welt. Unser Leben füllt sich immer mehr mit dem was wir verstehen und es erwächst eine reiche Lebenslandschaft.

2. Unsere Zukunft wird kürzer und zwingt uns immer wieder Abschied zu nehmen von Möglichkeiten, Vorstellungen, Orten und Menschen. Die besondere Form der Loslassung der Zukunft im Alter liegt aber nicht so sehr darin Planungen und Inhalte zu verabschieden, als vielmehr einen Blick für die eigene Zeitlichkeit und Befristung zu gewinnen.

Als Tugenden empfiehlt sie für Senioren besonders Gelassenheit, Klugheit und die Kraft zu verzeihen. Dabei ist Gelassenheit eine wesentliche Stütze für Stressmomente und schwierige Situationen, denn sie hält uns handlungsfähig und hilft, dass wir besonnen und überlegt Handeln können. Klugheit ist dagegen die Tugend, die es ermöglicht eine Lebensplanung zu entwickeln, auch dann, wenn sich die Zukunft der Berechenbarkeit entzieht. Es geht hier auch nicht um Rechthaben, sondern um die Fähigkeit die Verhältnisse richtig einzuschätzen und sein Leben entsprechend anzupassen und auch bereit sein, wenn nötig, Kehrtwendungen vorzunehmen. Und schließlich ermöglicht uns das Verzeihen - Schmidt verweist auf Gedankengänge von Hannah Arendt - mit dem Unwiderruflichen zu leben, mit der Einsicht, dass wir das, was geschehen ist, niemals ändern können. Sie ermöglicht die Opferrolle zu verlassen und selbst wieder zum Handelnden zu werden, indem wir einer Tat verweigern, unser weiteres Leben zu überschatten und zu bestimmen. Auch wenn das Verzeihen nicht immer gelingen mag, schon allein der Versuch ändert nach Meinung von Schmidt viel.

Jürgen Czogalla, 25.01.2020