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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Zhao Tingyang, Alles unter dem Himmel. Vergangenheit und Zukunft der Weltordung, Berlin 2020

Unsere Welt, so weiß Tingyang, ist noch keine durch ein Weltinteresse definierte Welt, an der alle Menschen teilhaben können. Für ihn geht die Moderne ihrem Ende entgegen. Sie hat die Globalisierung hervorgebracht, die jetzt zu ihrem Totengräber wird. Er träumt von einer neuen Weltordnung, die aus dem Chaos des Untergangs hervorgeht, die nicht eine Ordnung von Hegemonialstaaten oder Bündnissen mächtiger Staaten ist, sondern die Ordnung einer Weltsouveränität, der es um das Wohl aller geht. Diese Ordnung nennt er Tianxia, was übersetzt "alles unter dem Himmel" heißt, eine Idee, die zuerst versucht wurde in der Zhou-Dynastie zu verwirklichen (770-256 v. Chr.). Es geht darum, dass die Welt als politisches Subjekt entstehen soll, die von Kooperation, gegenseitigem Nutzen und Sicherheit geprägt ist. Dem stehen heute insbesondere partikulare Staatsinteressen entgegen. Derzeitige internationale Politik dient aber zurzeit nicht dem Interesse der Welt, sondern der Niederhaltung von Kontrahenten und der Maximierung des eigenen Nutzens. Zu beseitigen sind die internationale Ausbeutung und die Regeln der Dominanz des Imperialismus, damit sich die Bevölkerungen der Welt unter einen Begriff fassen lässt. Nach Meinung des Autors kann zwar Demokratie und Gleichheit die Vermögensverhältnisse innerhalb eines Staates lösen, ändern aber nichts an dem Ausbeutungssystem gegenüber international schwachen Staaten. Als Methoden der imperialistischen Dominierung nennt er das Recht auf Festlegung der Spielregeln und das Recht auf Interpretation des Wissens. Strategische, nachahmende Maßnahmen der Schwachen und Unterdrückten führen auf Dauer zum Ende des Systems. Spielregeln des Friedens und der Kooperation sind dagegen Spielregeln des gemeinsamen Nutzens. Tingyang meint, dass Globalisierung im Verbund mit der technologischen Entwicklung einen historisch kritischen Punkt heraufbeschwören wird, der, wenn nicht bewältigt, zum Untergang der Welt führen kann. Die einzig mögliche Lösung für die heraufkommende Krise ist für ihn die Etablierung eines Weltsystems von dem alle Individuen und Staaten profitieren und das nicht mehr einer Konkurrenz-Logik, sondern der Logik von Kompatibilität und Koexistenzialität folgt. Eine geistige Revolution ist vonnöten.

Tingyang langweilte mich mit allzu ausführlicher Darstellung der geschichtlichen Entwicklung des Tianxia Gedankens in China. Der Darstellung ist nur wirklich einigermaßen gut durch die vielen Dynastien zu folgen, wenn man wenigstens ein bisschen chinesische Geschichtskenntnisse aufzuweisen hat. Er enttäuschte mich mit einer nebulösen Vorstellung eines Tianxia für die Zukunft und einer oberflächlichen, thesenartigen Darstellung gegenwärtiger Probleme. Manche seiner Darstellungen erinnern mich sogar an Verschwörungstheorien, etwa wenn er meint voll entfaltete Märkte und Demokratien würden notwendig eine Diktatur neuen Stils hervorbringen. Die Neigung der Demokratie zur Aggregation von Präferenzen nennt er eine wenig erfreuliche Art der öffentlichen Entscheidungsfindung. Demokratien haben seiner Meinung nach Schwierigkeiten von Interessengruppen gelenkte Propaganda und Abstimmungen zu verhindern(!). Ihm schwebt eher ein Expertenrunde vor, die sich berät und den wahren Volkswillen herausfindet und durchsetzt. Er gibt dann zum Schluss eine Art von Rahmen für das Tianxia vor, der stark vom Daoismus geprägt ist. Das sich entwickelnde neue Tianxia wird seiner Meinung nach wahrscheinlich auf einer globale Systeme schützenden Überwachungs- und Regulierungsmacht gründen, insbesondere zum Schutz des globalen Finanzsystems, des globalen Internets und der von allen benutzten technologischen Systeme. Es wird nicht einem Staat zugehörig sein, sondern einer von Allen geteilten Weltmacht.

Das gegenwärtige China und seine Rolle in der Welt bespricht er gar nicht.

Tingyangs Stoßrichtung ist gegen den Westen und insbesondere die USA gerichtet. Dass er die Blickrichtung auf die Welt als Ganze lenken will, halte ich für begrüßenswert, allerdings ist der Gedanke nicht wirklich neu und schon irgendwie bei uns angekommen. Neu für mich ist die Verknüpfung dieses Gedankens mit dem Daoismus, der ein Naturrechtsdenken beinhaltet, dass ich für wenig zielführend halte und den er uns sozusagen als die rettende Sichtweise empfiehlt, im Gegensatz zu den seiner Meinung nach zerstörerisch wirkenden monotheistischen Religionen.

Fazit: Insgesamt habe ich mich gerne auch mal mit einer chinesischen Sichtweise befasst, wegen der überbordenden geschichtlichen Darstellung kann ich das Buch interessierten Lesern aber nur bedingt empfehlen.

Jürgen Czogalla, 29.02.2020

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