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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

R. Jay Wallace, Der moralische Nexus, Berlin 2021

Wallace argumentiert dafür, dass sein beziehungsrelativer Ansatz besser als alle anderen Alternativen ist, um bedeutende Aspekte der Moral zu erhellen. Zu dem von ihm vorgeschlagenen Ansatz gehören folgende drei Elemente: 1. Adressierte Verpflichtung. Beziehungsrelevante Normen dienen dazu, Verpflichtungen abzusichern. Sie bestimmen genau die Dinge, die ein einzelner Handelnder tun muss, d.h. seine jeweilige Pflicht angemessen zu erfüllen. Der Vorgang etwa, um ein viel bemühtes Beispiel von Wallace zu nennen, des Versprechens schafft einen normativen Nexus zwischen dem Urheber des Versprechens und dem Adressaten des Versprechens. 2. Anspruch. Eine Verpflichtung entspricht auf der Seite der Person, an die sie adressiert ist, eine Verpflichtung. Die Partei, der die Erfüllung der Verpflichtung geschuldet ist, hat einen Anspruch auf ein verpflichtungskonformes Verhalten. 3. Normative Verletzung. Verstoßen Personen gegen ihre Verpflichtung, tun sie etwas unrechtes. Dadurch wird das normative Verhältnis des Handelnden zu dem anderen Individuum verändert. Dies beinhaltet eine Affront für die Interessen des Anspruchsberechtigten.

Zu einer modernen Moral gehören für ihn deontische Beschränkungen für das Verhalten, die sich aus der Tatsache ableiten, dass wir zusammen mit anderen eine ideelle Gemeinschaft bilden, deren Interessen nicht weniger bedeutsam sind als unsere eigenen. Ein weiteres wichtiges Merkmal moderner Moral ist für ihn, dass sie in den wichtigsten Fällen moralische Erfordernisse enthält, die ein auf den Handelnden bezogenen Charakter haben. Es handelt sich also nicht um unpersönliche, akteursneutrale Werte. Es sind Anforderungen, die verschiedenen Akteuren unterschiedliche moralische Werte zuweisen. Diesen Merkmalen muss nach Wallace eine Darstellung des moralisch Richtigen gerecht werden. Mit dieser Vorlage kritisiert er dann den Utilitarismus, den Voluntarismus und Perfektionismus, und zeigt auf, dass sie seiner Meinung nach den Vorgaben einer modernen Moral nicht in allen Punkten entsprechen, um dann zu zeigen, dass sein eigener Ansatz dies schafft: Wir stehen in einem normativen Nexus mit jedem Individuum, das durch Ausübung unserer Handlungsfähigkeit potenziell beeinträchtigt werden könnte. Entscheidend ist für ihn das Gefühl in der Deliberation, dass man selbst in einem Nexus aus verschränkten Ansprüchen und adressierten Pflichten an andere Personen gebunden ist. Verpflichtungen bestehen in diesem beziehungsrelevanten Ansatz nicht mit irgend einem angeblichen Gesetzgeber, sondern mit den jeweiligen Individuen, denen sie geschuldet sind. Aus der Perspektive des Anspruchsinhabers kommt die Verpflichtung nicht durch eine Willensakt zustande, sondern ist bereits da, um zur Kenntnis genommen zu werden, als eine Erfordernis mit der ein Anspruch auf Einhaltung einhergeht.

Also hier haben wir es wirklich mit einen Buch für Leute vom Fach zu tun. Andere Leser werden in der Regel die Lektüre bereits spätestens nach einigen Dutzenden Seiten gelangweilt und frustriert aufgeben. Wallace geht sehr ins Detail und versucht seine versierten Fachkollegen von seinem Ansatz zu überzeugen, wobei seine Argumentationen entsprechend sind. Sein Ansatz ist dabei ein bisschen ein Revival der Philosophie von Ross, dessen Buch ich hier auch schon einmal besprochen habe, wobei aber die Argumentation jetzt sich löblicher Weise mit aktuellen Tendenzen in der Philosophie auseinandersetzt. Natürlich gibt es aber auch ein paar Unterschiede zu Ross, auf die Wallace auch selbst eingeht. Aber auch hier gilt im Grunde: Das moralisch Richtige geschieht, wenn wir unsere Pflicht erfüllen. Positiv an dieser Philosophie bewerte ich, dass sie unsere soziale Eingebundenheit berücksichtigt, negativ, dass sie sozusagen diesen Ansatz als Nonplusultra ansieht, der praktisch alle andere Deliberation übertrumpft. Das kommt mir nun wiederum gar nicht modern vor. Auch Aspekte der Verallgemeinerungsfähigkeit, des Glücks, der Gerechtigkeit, der Konsequenzen, des eigenen Selbstentwurfs und vieles mehr sollte meiner Meinung nach hier ihren Platz haben. Auch seine Ansprüche, die er an eine moderne Moral stellt scheinen mir zu schnell vorauseilend auf seinen eigenen Ansatz zugeschnitten und bieten sich daher für eine genauere Untersuchung an. Die Kritik die er an anderen Ansätzen übt fand ich interessant, seinen eigenen Ansatz verteidigt er ziemlich detailliert auf hohem fachphilosophischen Niveau. Ich habe sein Buch gerne gelesen.

Jürgen Czogalla, 05.06.2021

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